15.09.2017 | 2017

Chemotherapie im Wandel. Was habe ich zu erwarten?

PD Dr. med. Cornelia Liedtke, Leitende Oberärztin, Leitung Konservative Tumortherapie und Studienzentrale, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Campus Lübeck

Die heute eingesetzten Standard-Chemotherapien sind weitestgehend historisch durch die Kombination immer wirksamerer Substanzen entstanden. Dabei bestand das hauptsächliche Ziel in der Senkung von Rückfallraten. Die Erreichung dieses Ziels ging in der Regel zulasten einer Zunahme von Nebenwirkungen.

Die hippokratische Tradition sieht den Grundsatz „Primum nihil nocere“ als Mittelpunkt des moralischen ärztlichen Handelns. Diesem Grundsatz tragen die derzeitigen Entwicklungen in der Chemotherapie Rechnung, indem sie die Senkung unnötiger Toxizitäten (ohne Verringerung der Effektivität) in den Fokus gerückt haben. Hier lassen sich zwei grundsätzliche Entwicklungen beobachten:

  • Durch treffsichere Indikationsstellung soll Über- als auch Untertherapie vermieden werden.
     
  • Durch die Optimierung der Chemotherapie-Regime kann situationsabhängig sowohl eine Deeskalation als auch eine Eskalation erreicht werden.

Optimierte Indikationsstellung
Grundlage für eine zunehmend maßgeschneiderte Indikationsstellung ist die Entwicklung, Evaluation und Etablierung von Parametern, anhand derer sich die Notwendigkeit und/oder Wirksamkeit einer Chemotherapie ableiten lässt. Hierzu werden u. a. tumorbiologische Eigenschaften gezählt, die beispielsweise die Aggressivität der Erkrankungen (und daher die Notwendigkeit einer Chemotherapie) abbilden. Als ein Beispiel aus der klinischen Anwendung sind hier die sogenannten Multigentests zu nennen. Diese Tests erlauben eine Abschätzung der Aggressivität der Erkrankung und können bei Patientinnen mit einem frühen, hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom die Entscheidungsfindung für/gegen eine Chemotherapie als Ergänzung der endokrinen Therapie unterstützen.

Weit weniger vielversprechend ist der Einsatz von tumorbiologischen Parametern in der Abwägung eines Chemotherapeutikums gegenüber einem anderen. Leider gibt es bislang keinen etablierten Parameter, der die Entscheidung für ein spezifisches Chemotherapeutikum gegenüber einem anderen erlaubt. Ein Ansatz, der hier möglichweiser Eingang in die klinische Anwendung finden wird, ist die wiederholte Biopsie nach einer (beispielsweise drei-wöchigen) Therapie. Viele klinische Wissenschaftler gehen davon aus, dass über derartige Messungen Abschätzungen über die Wirksamkeit spezifischer Therapie getroffen werden können und testen diesen Ansatz in klinischen Studien.

Optimierte Chemotherapie-Regime
Bei der Auswahl des geeigneten Chemotherapie-Regimes kommen bei Patientinnen im kurativen (heilbaren) Stadium im Vergleich zu Patientinnen im nicht-kurativen (palliativen oder metastasierten Stadium) unterschiedliche Prinzipien zum Tragen.

Bei Patientinnen im palliativen Stadium besteht die Chemotherapie weitestgehend aus Einzeltherapien, bei denen die Verträglichkeit und damit der längst mögliche Erhalt der Lebensqualität im Vordergrund stehen So wird aus der zunehmenden Anzahl an Substanzen, die aufgrund der in ihrer Ausprägung und Art der Nebenwirkungen zum Teil stark differieren, in Abhängigkeit der Wünsche/Bedürfnisse der betroffenen Patientin die Geeignetste ausgewählt.

Bei Patientinnen im heilbaren Stadium werden weitestgehend Kombinations-Chemotherapien aus zwei bis vier Substanzen sequenziell und/oder simultan angewendet. Der derzeitig maßgebliche Fokus besteht einerseits in der Therapie-Eskalation bei den Patientinnen, die trotz des Einsatzes von toxischen Standard-Regimen ein inakzeptables Rückfallrisiko zeigen und andererseits in der Therapie-Deeskalation bei den Patientinnen, bei denen aufgrund eines geringeren Rückfall-Risikos oder durch die Anwendung alternativer Substanzen mit geringerem/harmloserem Nebenwirkungsspektrum eine Deeskalation der Therapie möglich ist.

Therapie-Eskalation
Ein Ansatz zur Therapieeskalation besteht in der Hinzunahme zusätzlicher Substanzen mit dem Ziel der Effizienzsteigerung insbesondere bei jenen Mammakarzinom-Untergruppen, die in besonderem Maße von der Wirksamkeit einer Chemotherapie abhängen. Beispiel hierfür ist die Subgruppe der sogenannten tripelnegativen Mammakarzinome, bei denen standardisierte Taxan-Anthrazyklin-Chemotherapien durch das Chemotherapeutikum Carboplatin ergänzt werden.
Durch die Kombination mit zielgerichteten (oft antikörperbasierten) Substanzen kann die Wirksamkeit einer Chemotherapie verstärkt werden. Beispiel hierfür ist die kombinierte Anwendung der gegen den HER2-Rezeptor gerichteten Antikörper Pertuzumab und Trastuzumab (duale HER2-Blockade) in Ergänzung zur Chemotherapie beim sogenannten HER2 positiven Mammakarzinom.
Sogenannte postneoadjuvante Therapien befinden sich derzeit in der Testung bei den Mammakarzinom-Untergruppen, die von einer präoperativen Chemotherapie nicht in ausreichendem Maße profitiert haben, sodass ein Resttumor in der Brust verblieben ist. Dieser Therapieansatz bietet die Möglichkeit, Patientinnen mit unzureichender Chemotherapie-Empfindlichkeit gezielter zu behandeln.

Therapie-Deeskalation
Durch den Einsatz alternativer Chemotherapien können toxische Komponenten der Standard-Chemotherapie ersetzt werden. Beispiel hierfür ist wieder das tripelnegative Mammakarzinom, bei dem erste Studienergebnisse nahelegen, dass ein Ersatz der Anthrazykline durch das weniger kardiotoxische Carboplatin möglich sein könnte.
Durch den Einsatz zielgerichteter Substanzen kann die Intensität von Chemotherapien reduziert und möglicherweise in ausgesuchten Fällen eine Chemotherapie gänzlich unterlassen werden. Studienkonzepte untersuchen derzeit, ob Substanzen wie HER2-zielgerichtete Substanzen beim HER2-positiven Mammakarzinom oder CDK-4/6-Inhibitoren beim hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom diese Erwartungen erfüllen können.

Künftige Herausforderungen im Zusammenhang mit Chemotherapie
Herausforderungen, die im wissenschaftlichen wie klinischen Kontext in den nächsten Jahren genommen werden müssen, sind die mit den neuen Substanzen steigenden Therapiekosten. Zudem geht die zunehmende Unterteilung des Mammakarzinoms mit einer Bildung immer kleinerer Subgruppen einher, die insbesondere bei der Entwicklung klinischer Studien problematisch sein kann. Letztlich ist das Wissen, welches auch der klinisch tätige Arzt aufbringen muss, um Patientinnen mit onkologischen Erkrankungen wie dem Mammakarzinom zu betreuen, zunehmend komplex. Fortbildungsprogramme, Kongresse und Weiterbildungskonzepte müssen diesem Umstand Rechnung tragen.

6560 Zeichen

Kontakt: PD Dr. med. Cornelia Liedtke
Leitende Oberärztin
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein / Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
E-Mail: Bitte aktivieren Sie JavaScript, um diesen Link anzuzeigen!
Internet: www.uksh.de/frauenklinik-luebeck