15.05.2018 | 2018

Pathologische und molekulare Tumorheterogenität beim Mammakarzinom

Prof. Dr. med. Andreas Hartkopf, Leitung konservative und medikamentöse Onkologie, Universitäts-Frauenklinik Tübingen
Prof. Dr. med. Florin-Andrei Taran, Co-Koordinator (Deutschland) 38. Jahrestagung der DGS, Leitender Oberarzt des Departments für Frauengesundheit, Universitäts-Frauenklinik Tübingen
Prof. Dr. med. Sara Y. Brucker, Wissenschaftliche Koordinatorin (Deutschland)  38. Jahrestagung der DGS, Schriftführerin der DGS, Schriftleiterin der Zeitschrift Senologie, Ärztliche Direktorin des Forschungsinstituts für Frauengesundheit und stellv. geschäftsführende Ärztliche Direktorin des Departments für Frauengesundheit, Universitäts-Frauenklinik Tübingen

Das Mammakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland. Insgesamt ist die Prognose gut und bessert sich in den letzten Jahren zunehmend – allerdings gilt das nicht für alle Frauen. Da es sich um eine vielschichtige Erkrankung handelt, sind Aggressivität und Verlauf sowie das Ansprechen auf unterschiedliche Behandlungsstrategien sehr heterogen. Die Identifizierung solcher unterschiedlichen pathologischen und molekularen Subtypen führt daher auch zu einer zunehmenden Personalisierung von Behandlung, Vor- und Nachsorge.

Mittlerweile überleben viele Frauen selbst bei Vorliegen einer metastasierten Erkrankung mit guter Lebensqualität und ohne Wachstum des Tumors. Bei manchen Subtypen kann metastasierter Brustkrebs daher, obwohl nicht heilbar, in einen chronischen Zustand überführt werden. Dies bedeutet zum einen eine langfristige und intensive Betreuung der Patientinnen, zum anderen für die Akteure im Gesundheitssystem auch ein grundsätzliches Umdenken: „Care statt Cure“ ist eine der großen onkologischen Herausforderungen von morgen. Auch in der Vorsorge findet ein ähnlicher Umschwung statt: Zunehmend ist es möglich, anhand von genetischen Varianten das individuelle Risiko für eine bestimmte Krebserkrankung zu ermitteln. Die operative Tumortherapie von morgen wird daher mehr und mehr von präventiven anstelle von heilenden Operationen geprägt sein.

Die Einteilung in verschiedene Subtypen ist kein neuer Weg bei der Behandlung des Mammakarzinoms. Bereits seit Jahrzehnten werden Brustkrebsformen, die hormonabhängig wachsen, von solchen, die unabhängig vom Einfluss der weiblichen Geschlechtshormone (Östrogen, Progesteron) wachsen, unterschieden. Der Hormonrezeptorstatus beim Mammakarzinom ist in der gesamten Onkologie einer der am längsten bekannten prädiktiven Faktoren. Hierbei handelt es sich um molekulare Eigenschaften des Tumors, die die Wirksamkeit einer Behandlung vorhersagen. Auch eine der ersten zielgerichteten Behandlungen, die HER2-zielgerichtete Therapie, wurde ursprünglich für Frauen mit Brustkrebs entwickelt. Spezifische Antikörper (z.B. Trastuzumab) greifen gezielt Brustkrebszellen an, die das HER2-Molekül auf ihrer Oberfläche tragen und verbessern seit Jahren die Überlebenschancen von Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs.

Neben diesen histopathologischen Eigenschaften können mittlerweile anhand moderner genetischer Hochdurchsatzverfahren hunderte von Genen in Brustkrebszellen gleichzeitig untersucht werden. Hierfür reichen einige wenige Tumorzellen, die entweder direkt aus dem Tumor oder durch eine einfache Blutprobe (sogenannte zirkulierende Tumorzellen) gewonnen werden. Zudem kann zellfreie DNA aus dem Blut isoliert werden. Finden sich genetische Veränderungen, welche die Tumorzelle von gesunden Körperzellen unterscheiden, können diese häufig gezielt behandelt werden.

Derartige Therapiestrategien bedingen allerdings auch ein Umdenken bei der Konzeption und Durchführung klinischer Studien: Während klassischerweise Hunderte von Studienpatientinnen mit einem bestimmten Medikament behandelt werden, um dessen Effektivität zu beweisen, wird die Zahl der Patientinnen, welche die Voraussetzungen für eine bestimmte Therapie erfüllt, im Zuge einer zunehmenden Individualisierung immer kleiner. Im Rahmen immunologischer Therapien werden maßgeschneiderte Impfstoffe, basierend auf den molekularen Tumoreigenschaften, sogar für jede Patientin individuell hergestellt. In diesem Fall ist die Anzahl der Patientinnen, welche die Voraussetzungen für eine bestimmte Therapie erfüllt, „n=1“.

Wesentlich ist daher, dass molekulare Diagnostik und die hieraus resultierenden Therapieoptionen an universitären Zentren durchgeführt werden. Hier ist die notwendige Infrastruktur in vielen Fällen bereits vorhanden (zum Beispiel Datenbanken zur systematischen Erfassung und Auswertung von klinischer und molekularer Information, interdisziplinäre molekulare Tumorboards und die Möglichkeit zur Teilnahme an klinischen Studien mit innovativen zielgerichteten Substanzen oder immuntherapeutischen Strategien). Nur so kann den drei genannten Herausforderungen – „Cure statt Care“, „Prävention statt Kuration“ und „n=1“ – in systematischer und wissenschaftlicher Art und Weise, d.h. letztendlich zum Wohle unserer Patientinnen, begegnet werden.

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Prof. Dr. med. Andreas Hartkopf
Leitung konservative und medikamentöse Onkologie 
Universitäts-Frauenklinik Tübingen
Calwerstr. 7
72076 Tübingen
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Internet: www.uni-frauenklinik-tuebingen.de