Patientensicherheit mit neuen Medizinprodukten – was können wir tun? – Studien der AWOgyn
PD Dr. med. Marc Thill, Chefarzt, Klinik für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie und Sprecher des Interdisziplinären Brustzentrums am AGAPLESION Markus Krankenhaus, Frankfurt am Main, 2. Stellvertretender Vorsitzender der AWOgyn e. V.
Klinische Studien gehören zu unserem medizinischen Alltag, wenn es um die Überprüfung neuer Therapien hinsichtlich Effektivität und Sicherheit geht. Sie sind zwingend notwendig, um von der Europäischen Zulassungsbehörde, European Medicines Agency (EMA), eine Zulassung für das entsprechende Medikament zu erhalten. Die Zulassung gilt dabei für die überprüfte Indikation und kann nur durch eine Studie in einer zusätzlichen Indikation erweitert werden. Das Arzneimittelmarktneuordungsgesetz (AMNOG) hat dabei die Aufgabe, die Bezahlbarkeit der neuen Therapien zu regeln, wobei die frühe Nutzenbewertung, das Herzstück des AMNOG, in der Verantwortung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) liegt und durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) überprüft wird.
Doch wie verhält es sich mit den Medizinprodukten, die wir täglich einsetzen? Wie viel Sicherheit gibt uns das Medizinproduktegesetz (MPG)? Wie hoch sind die Anforderungen, eine CE-Kennzeichnung zu erhalten? Wie hoch ist die Qualität der zugrunde liegenden klinischen Studien?
Medizinische Geräte benötigen, um von uns eingesetzt werden zu können, eine CE-Kennzeichnung, mit der der Hersteller, Inverkehrbringer oder EU-Bevollmächtigte gemäß EU-Verordnung erklärt, „dass das Produkt den geltenden Anforderungen genügt, die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft über ihre Anbringung festgelegt sind“. Somit ist die CE-Kennzeichnung kein Qualitätssiegel, sondern nur eine Kennzeichnung, die durch den Hersteller in eigenem Ermessen aufzubringen ist und mittels der er zum Ausdruck bringt, dass er die besonderen Anforderungen an das von ihm vertriebene Produkt kennt und dass selbiges diesen entspricht. Diese Zweckbestimmung ist daher subjektiv.
Medizinprodukte sorgen daher immer wieder für Schlagzeilen. So erfolgte im Dezember 2018 die Veröffentlichung der sogenannten „Implant Files“, die das Ergebnis einer Recherche sind, mit der ein Netzwerk von 250 investigativen Journalisten Qualitätslücken in der Testung, Zulassung und Vermarktung von Medizinprodukten aufdeckten.
Die Arbeitsgemeinschaft für ästhetische, plastische und wiederherstellende Operationsverfahren in der Gynäkologie e. V. (AWOgyn) hat daher im letzten Jahr eine Studiengruppe gegründet, um sich umfassender der klinischen Überprüfung von Medizinprodukten zu widmen, die den senologischen und gynäkologischen Operateuren oft mit nur sehr limitierter klinischer Datenlage angeboten werden.
Nach dem Durchführen einer Satzungsänderung, Identifizierung von möglichen Studienzentren mittels Versenden eines Feasibilitybogens und einer Checkliste sowie Schaffung einer vertraglichen Grundausstattung zwischen Firma, AWOgyn und Studienzentrum steht die erste Studie der AWOgyn-Studiengruppe kurz vor dem Rekrutierungsstart. In dieser Studie wird ein resorbierbares Netz zum Einsatz in der implantatgestützten Brustrekonstruktion überprüft. Darüber hinaus sind bereits weitere Studien zur Überprüfung eines Gerätes zur intraoperativen Schnittrandmessung bei der brusterhaltenden Operation und eine Studie zum Einsatz einer synthetischen Netztasche bei der epipectoralen implantatgestützten Brustrekonstruktion in Planung. Studien, die bereits an Zentren der AWOgyn angelaufen sind und sich mit dem Nutzen eines neuen Biopsiegerätes bei der axillären Lymphknotenbiopsie und dem Patient Reported Outcome (PRO) nach der Verwendung einer porcinen azellulären dermalen Matrix (ADM) bei der Brustrekonstruktion beschäftigen, laufen unter der Schirmherrschaft der AWOgyn.
Das Ziel der AWOgyn-Studiengruppe ist es, durch die Erhebung von prospektiven klinischen Daten die Sicherheit für Patientin und Operateur im Umgang mit dem entsprechenden Medizinprodukt und der damit verbundenen Technik zu erhöhen sowie die Medizinprodukte-Industrie zu der Durchführung von klinischen Studien zu motivieren. So werden Studienprotokolle auf ihre Sinnhaftigkeit, die Wahl der Endpunkte und die statistische Power überprüft. Des Weiteren wird durch die Wahl der AWOgyn-Studienzentren gewährleistet, dass die operative Umsetzung der Studie eine hohe Qualität und Konsistenz erfährt. Das AWOgyn-Logo wird somit Qualitätssiegel.
Unterstützt werden wir durch die neue EU-Verordnung, die die Medizinprodukte-Richtlinie 90/385/EWG zum 26. Mai 2020 ablösen wird und zu mehr Konkretisierung und Verschärfung der Anforderungen führen soll. Durch die neue Verordnung ist zu erwarten, dass die Anzahl der klinischen Studien zu Medizinprodukten zunehmen wird. Die AWOgyn ist durch die Studiengruppe bestens gewappnet, die zunehmende Anzahl von klinischen Studien sowohl zu überprüfen als auch zu koordinieren.
Literatur:
1. https://ec.europa.eu/growth/single-market/ce-marking_de
2. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/a/arzneimittelmarktneuordnungsgesetz-amnog.html
3. https://www.sueddeutsche.de/politik/implant-files-recherche-fragen-antworten-1.4225365
4. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/gesundheitswesen/medizinprodukte/neue-eu-verordnungen.html
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Kontakt:
PD Dr. med. Marc Thill
Chefarzt
Klinik für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie
AGAPLESION Markus Krankenhaus
Wilhelm-Epstein-Str. 4
60431 Frankfurt am Main
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Internet: www.markus-krankenhaus.de/leistungsspektrum/kompetenzzentren/brustzentrum