02.10.2017 | 2017

Prophylaktische Operationen der Brust: Für wen und wann?

Univ.-Prof. Dr. med. Rita Schmutzler, Ärztliche Direktorin Uniklinik Köln, Koordinatorin des Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs

Die prophylaktische Brustdrüsenentfernung ist eine effektive Maßnahme zur Reduktion des Erkrankungsrisikos bei Frauen mit Vorliegen einer pathogenen BRCA1- oder BRCA2-Mutation. Sie kann jedoch mit schwerwiegenden physischen und psychischen Belastungen einhergehen. Daher muss die Entscheidung für oder gegen eine solche Maßnahme zusammen mit der Ratsuchenden sorgfältig abgewogen werden. Hierbei gilt es, verschiedene Aspekte zu beachten:

  1. Grundlage für die Entscheidungsfindung ist eine umfassende und möglichst genaue Risikokalkulation. Hierbei sind altersabhängige Erkrankungsraten zu kommunizieren. Ebenso müssen im Falle eines Zweitkarzinomrisikos bei bereits eingetretener einseitiger Erkrankung die konkurrierenden Risiken e.g. das Rezidiv- und Metastasierungsrisiko des Erstkarzinoms berücksichtigt und zusammen mit der Patientin offen diskutiert und abgewogen werden.
     
  2. Bezüglich der Risikokommunikation ist es wichtig, nicht nur Lebenszeitrisiken, sondern auch die Risiken in überschaubaren Zeiträumen von fünf bis zehn Jahren zu kommunizieren. Denn was nützt es einer 25-jährigen Ratsuchenden einzig über ein hohes Lebenszeitrisiko zu erfahren, wenn ihr Risiko zu erkranken in den nächsten fünf Jahren praktisch null ist. Diese Informationen sind wichtig, um sich nicht nur für oder gegen die prophylaktische Operation zu entscheiden, sondern auch den individuell optimalen Zeitraum hierfür ausfindig zu machen.
     
  3. Neben der reinen Faktenlage ist es ebenso wichtig, die persönliche Einstellung und die aktuelle Lebenssituation der Ratsuchenden im Rahmen eines präferenzsensitiven Entscheidungsprozesses mit einzubeziehen, um der Ratsuchenden passende und langfristig tragbare Entscheidung zu ermöglichen.

Das Deutsche Konsortium „Familiärer Brust- und Eierstockkrebs“ setzt dieses Konzept der Risikokommunikation zusammen mit den kooperierenden Brustzentren um und bietet hierzu auch Zweitmeinungssprechstunden an.

Eine neue Herausforderung stellt die Identifikation weiterer Risikogene dar. Denn für diese Gene liegen deutlich weniger klinisch belastbare Daten für eine zuverlässige Risikoabschätzung vor. Insbesondere stellen unklare genetische Varianten, die in den neu entdeckten Risikogenen häufig nachgewiesen werden, eine große Herausforderung bei der klinischen Interpretation dar. Das deutsche Konsortium hat hierfür eigens eine Expertengruppe zur Zweitbefundung sowie ein recall-System bei Vorliegen neuer Erkenntnisse eingeführt, das in Deutschland bisher einzigartig ist. Das Kölner Zentrum konnte ferner in einem Benchmark-Projekt zusammen mit seinen Kooperationspartnern zeigen, dass bei rund 30 Prozent aller Frauen mit Brustkrebs eine familiäre Belastung vorliegt. Da die Hochrisikogene BRCA1/2 aber nur 25 Prozent dieser Fälle erklären, könnten den neuen Genen eine größere Bedeutung als den bisher bekannten Genen zukommen. Diese Daten belegen auch, dass der familiär bedingte Brustkrebs keinesfalls eine seltene Erkrankung ist.
Zwar stehen verschiedene Risikokalkulationsprogramme zur Verfügung, um bei diesen BRCA1/2 negativ getesteten Frauen eine Risikoabschätzung durchzuführen, diese sind jedoch nicht ausreichend prospektiv validiert. So fehlen z. B. altersabhängige Tumorinzidenzraten, die es ermöglichen, einen optimalen Zeitpunkt für prophylaktische Operationen zu identifizieren. Laufende Untersuchungen des Deutschen Konsortiums zur empirischen Erfassung der prospektiven Tumorinzidenzraten werden hier mehr Klarheit bringen. Ebenso fehlen Daten zum natürlichen Krankheitsverlauf sowie zur Wirksamkeit spezifischer präventiver und therapeutischer Maßnahmen. Des Weiteren gehen die meisten neu identifizierten Brustkrebsgene mit einem nur moderat erhöhten Risiko für Brustkrebs einher. Sie stellen also keine Hochrisikogene wie BRCA1/2 dar. Eine Ausnahme ist das Gen PALB2 sein, für welches in Kürze belastbarere Daten erwartet werden.

Aufgrund dieser Gesamtsituation ist ein verantwortungsvoller Umgang mit den präventiven Operationsmöglichkeiten im Sinne des „primum nil nocere“ Prinzips zu beachten. Entscheidungen für oder gegen eine prophylaktische Operation müssen im Rahmen von Einzelfallentscheidungen erfolgen, die die Gesamtsituation wie z. B. auch die familiäre Risikobelastung und die Vorgeschichte der Patientin mit berücksichtigen. Das Konsortium richtet derzeit überregionale und interdisziplinär besetzte Gendiagnostikboards ein, um einen transparenten Entscheidungsprozess auf bestmöglicher Datenlage zu gewährleisten. Dabei gilt es ferner, die Ratsuchende und ihre persönlichen Präferenzen in den Fokus zu stellen. Das Kölner Zentrum bemüht sich daher darum, in einem begleitenden ethisch-/rechtlichen Forschungsprojekt, unterstützt durch das BMBF, den krankenversicherungsrechtlichen Status dieser Risikopersonen besser zu definieren, um dem besonderen Status der Betroffenen (healthy sick) gerecht zu werden.

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Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. med. Rita Schmutzler
Direktorin
Zentrum Familiärer Brust- und Eierstockkrebs
Uniklinik Köln | Zentrum Familiärer Brust-
und Eierstockkrebs
Kerpener Str. 34
50931 Köln
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Internet: www.familiaerer-brust-und-eierstockkrebs.uk-koeln.de